1. Die Regierung Tsipras und das griechische Parlament haben dem Grexit die Kapitulation vorgezogen
Die von Tsipras nach Brüssel gesandte Liste entspricht sehr
weitgehend den Forderungen der Gläubiger vor dem Referendum, weil das Land
angesichts der Strangulation durch die EZB und der dadurch abgewürgten
Wirtschaft in eine verzweifelte Lage rutschte und weitere Verzögerungen
katastrophale Auswirkungen hätten. Zwar verlangt Tsipras weiterhin einen
Schuldenschnitt, den Berlin kategorisch verweigert, am Donnerstag noch haben
Merkel und Schäuble sich wieder ausdrücklich dagegen verwahrt. Stattdessen
sollen die griechischen Schulden "umstrukturiert" werden, was das
genau bedeutet, bleibt vorerst unklar. Um dennoch eine Mehrheit für die neue
Vereinbarung mit Brüssel zu erhalten, war man auf Ja-Stimmen der Opposition
angewiesen.
2. Die Beherrscher Europas brauchen noch keinen Grexit, um
das unbotmäßige Volk zu bestrafen und die Demokratie marktkonform auszuhebeln
EU-Chef Juncker empfing am Donnerstag eine Delegation der
konservativen griechischen Partei Nea Dimokratia und am Freitag den
Vorsitzenden der Partei To Potami. Mit einer Abstimmung, in der die Regierung
nur mithilfe der alten Memorandumsparteien eine Mehrheit zusammen bekam,
während Teile der eigenen Fraktion das neue Sparpaket ablehnten, kann die EU
der Welt noch ohne Grexit vorführen: "Widerstand gegen die von uns
diktierte Politik ist aussichtslos, es gibt keine Alternative."
3. Die USA sorgen sich um die Bündnistreue Griechenlands -
und um den Aufmarsch Deutschlands
James Stavridis, Ex-Admiral der U.S. Navy, bis 2013 Supreme
Allied Commander Europe der NATO (SACEUR), warnte in der US-Zeitschrift
"Foreign Policy": Werde Griechenland aus der Eurozone gedrängt, dann
könne es sich zum "Quertreiber" in der EU und NATO entwickeln. Zudem
werde die Krise Auswirkungen darauf haben, wie stark Athen sich an
NATO-Operationen, EU-Missionen, "humanitären" Projekten usw.
beteilige. Sogar der Zugang zu Griechenlands geostrategisch wichtigen
Militärbasen sei dann gefährdet, "in einer Zeit beträchtlicher Spannungen
im östlichen Mittelmeer", so der US-Admiral.
Was die US-Diplomatie nicht ausspricht, ist die Sorge, dass
Deutschland in der Eurokrise zur unanfechtbar dominierenden Macht in Europa
aufgestiegen ist. Das Wallstreet Journal schrieb nach dem griechischen
Referendum: "Jahrzehntelang hatte ein Tandem aus Frankreich und
Deutschland in Brüssel den Ton angegeben, deutsch-französische Kompromisse
hatten von stark divergierenden Standpunkten aus die übrigen EU-Staaten
integrieren können. Seit Deutschland nun allein dominiert, ist diese
Integrationskraft nicht mehr gegeben. Berlins Macht schafft stattdessen neue
Spannungen in der EU, die gegen die anschwellende Dominanz eines ihrer
Mitglieder zu kämpfen hat. Spätestens mit dem griechischen "Nein" vom
vergangenen Sonntag sind die Gefahren, die aus Deutschlands Aufstieg für das
europäische Projekt resultieren, deutlich geworden."
Gelinge es nicht, die Griechenland-Krise einzudämmen, werde
der Widerstand gegen "die deutsche Macht in Europa" weiter wachsen.
Ähnlich wie die Vereinigten Staaten in der ganzen Welt "polarisiert die
deutsche Macht Europa." In Spanien habe der Chef der neuen Partei Podemos
kürzlich erklärt: "Wir wollen keine deutsche Kolonie sein," schreibt
das Wallstreet Journal.
Berlin kann also (noch) nicht riskieren, sein Ziel mit der
Brechstange durchzusetzen.
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