Heiner Flassbeck
Meine indische Kollegin und
Mit-Autorin (aus dem Buch „Handelt jetzt“ vom Westend-Verlag) hat eine
vernichtende Kritik zur deutschen Rolle bei der „Einigung“ vom Montag
geschrieben. Hier die deutsche
Übersetzung:
Das gescheiterte Projekt Europa
Es gibt das stereotype Bild
von dem gewalttätigen Ehemann, der seine Frau verprügelt und sie nur noch
gnadenloser schlägt, wenn sie zu protestieren wagt. Ein solches gewalttätiges
Verhalten ist normalerweise ein Zeichen einer gescheiterten Beziehung, die
nicht mehr durch das oberflächliche Verbinden der Wunden gerettet/geheilt
werden kann.
Es dreht einem den Magen
um/ tut einem in der Seele weh, wenn man einen solchen Tyrannen in Aktion
sieht. Aber die Welt hat die Verhandlungen in Europa über das Schicksal
Griechenlands in der Eurozone mit der selben ekelerregenden Mischung aus
Entsetzen und Ungläubigkeit verfolgt, als die Führer Deutschlands und anderer
Länder sich in ähnlicher Weise aufführten.
Das Ausmaß an Aggression,
die streng strafenden Bedingungen, die für eine sehr unnachsichtige Rettung
auferlegt wurden und die schreckliche Demütigung und der Schmerz, der dem
griechischen Volk aufgezwungen wurde, können kaum mit rein wirtschaftlichen oder
politischen Gründen erklärt werden. Es scheint, dass hier die tief sitzende Wut
der EU-Führung über ein kleines Land zum Ausdruck kommt, das die Frechheit
besaß, sein Volk zu befragen, anstatt sich unmittelbar den Befehlen zu beugen.
Die Wut richtet sich auch gegen das griechische Volk, das es wagte, in einem
Referendum gegen die Bedingungen eines Rettungspakets zu stimmen, das ihnen nur
weitere Austerität, weniger Hoffnung und eine Fortsetzung des Leids in
absehbarer Zukunft bringen sollte und ihnen nur so viel ließ, um weiterhin die
Auslandsschulden zu bezahlen, von denen jeder weiß, dass sie letztlich
unbezahlbar sind.
Die Reaktion der EU bestand
darin, den Willen der Griechen, wie er im Referendum zum Ausdruck gekommen war,
zu ignorieren und ihnen für ihren Widerstand noch schlimmere Konditionen
aufzubürden. Diese sind vielleicht die schrecklichsten und zutiefst
demütigenden Bedingungen, die es je für eine europäische Nation in einer Nicht-
Kriegssituation gab, für den zunehmend zweifelhaften Vorteil eines Verbleibs in
der Eurozone.
Griechenland würde zu einem
wirtschaftlichen Protektorat, kaum mehr als eine Kolonie Deutschlands in der
Eurozone. Es wird keine Kontrolle über seine Finanzpolitik haben, es wird
gezwungen, wertvolle öffentliche Vermögenswerte zu verkaufen und damit weiter
seine Gläubiger zu bezahlen. Es wird seine Entscheidungen, einige öffentlich
Beschäftigte zu erhalten, zurücknehmen müssen (wie z.B. Reinigungskräfte und
Sicherheitspersonal, die nun wieder gefeuert werden müssen). Es wird weiter die
Renten der alten Menschen senken, die bereits einen Rückgang ihrer Einkommen um
40 Prozent hinnehmen mussten. Es wird die direkten Steuern erhöhen müssen und
damit die Ärmsten treffen. Es wird die permanente Anwesenheit externer
Herrscher in der Form des IWF hinnehmen müssen, die den Haushalt und die
Handlungen der griechischen Regierung überwachen. Und das Ergebnis all dieser
Austerität wird weitere Depression sein in einer Wirtschaft, die sich schon
seit fünf Jahren in einer Abwärtsspirale befindet. Damit wird das Aufkommen
rechtsgerichteter, fremdenfeindlicher Gruppierungen begünstigt. Dies ist
wirklich eine verlängerte griechische Tragödie, und ein klares Ende ist nicht
in Sicht/ohne Aussicht auf ein gutes Ende.
EU-Politiker verweisen auf
Länder wie Irland und Spanien oder sogar Lettland, als angebliche
„Erfolgsbeispiele“ für Austerität, weil diese Länder die bittere Medizin
geschluckt hätten und ihre Volkswirtschaften sich erholten. Das ist Unsinn.
Keines dieser Länder musste ein so extremes Austeritätsprogramm durchmachen wie
das, das Griechenland aufgezwungen wurde. Die vielgepriesene „Erholung“ erfolgt
auf sehr niedrigem Einkommensniveau, das immer noch weit niedriger ist als vor
fünf Jahren. Die Arbeitslosenquote ist in diesen Ländern weiterhin hoch, die
Zahl der Beschäftigten (labour force numbers) sank, nachdem viele der Jungen,
Besten und Klügsten ausgewandert sind. Diese Länder werden nur deshalb als
Erfolge präsentiert, um für einen finanzgetriebenen Ansatz der
Wirtschaftspolitik zu werben und um zu verschleiern, dass in der Eurozone der
Versuch, aus der Stagnation herauszukommen, gescheitert ist.
Die lautesten Stimmen in
Europa gegen diesen Betrug am Volkswillen und die Klage, dass die EU
inkompatibel mit der Demokratie sei, kommen heute von Parteien vom extrem
rechten Flügel wie dem Front National in Frankreich, der UK Independent Party
und der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien. Die Parteien links
von der Mitte sind zu sehr in das gescheiterte Europäische Projekt verwickelt
um zu protestieren und progressivere Bewegungen wie Podemos in Spanien befinden
sich in einem Schockzustand. Tatsächlich ist das Ziel, das Aufkommen von
solchen progressiven Bewegungen zu verhindern, ein entscheidender Grund für die
feindselige Haltung der EU gegenüber SYRIZA.
Aber das Drama ist noch
nicht vorüber: die Demütigung Griechenlands heute wird die europäischen Führer
von morgen heimsuchen. Die Idee eines vereinten Europas ist zerstört und die
Realität des Projekts wird offenkundig: die Interessen des Finanzkapitals,
durchgesetzt von Deutschland, grundlegend antagonistisch zu Demokratie und
sozialer Gerechtigkeit.
Diese unglückliche
europäische Ehe kann nicht fortbestehen. Die einzigen Fragen sind nun: Wie
lange wird es dauern, bis das Scheitern eingestanden (explicit) wird? Wie viel
Schmerz und Gewalt wird den Menschen in Europa noch zugefügt werden, bis es zum
Zusammenbruch kommt? Und wie lange wird das Tyrannisieren der deutschen
Regierung im Interesse des Finanzkapitals noch toleriert werden, von den
Menschen in Europa und schließlich auch von den Menschen in Deutschland selbst?
Übersetzung: Stephanie
Flassbeck
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