Die wissenschaftliche Populismus-Forschung beschränkt sich gewöhnlich auf die Beschreibung der aktuellen Feindbilder, Stereotypen, Aktions- und Organisationsmuster populistischer Strömungen. Überlegungen, wie der Populismus zu bekämpfen und zurück zu drängen ist, erschließen sich aber erst aus seiner geschichtlichen Einordnung.
Sowohl Vertreter der etablierten „Volksparteien“, der
Mainstream-Medien als auch manche wissenschaftliche Populismusforscher behaupten,
AfD, Pegida u.co. konkurrierten mit der Linkspartei und bestimmten sozialen
Basisbewegungen um dieselbe Klientel, und zwar mit denselben Methoden und
ähnlichen Inhalten. Dem „Rechtspopulismus“ entspreche sozusagen spiegelbildlich
ein „Linkspopulismus“. An der Oberfläche kann man allerdings über einige
ähnliche Erscheinungen stolpern.
Ein Beispiel: Auch die Linke sieht die moderne Gesellschaft
dichotomisch in Oben und Unten geteilt, in agitatorischer Zuspitzung wird wohl
auch von links eine bürokratische, abgehobene, sich auf Kosten des Gemeinwesens
bereichernde Elite der Mehrheit gegenüber angeprangert. Aber der grundlegende
Unterschied ist – und hier erweist sich die Gleichsetzung Rechts = Links sofort
wieder als unhaltbar: Die Linke bleibt nicht beim moralisierenden Vorwurf der
individuellen Bereicherung und Privilegiertheit der Herrschenden stehen, um
diese durch eine „bessere“ Elite abzulösen, sondern sie analysiert Struktur und
Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft, um diese zu überwinden.
So wie in diesem Beispiel können wir Punkt für Punkt die
populistische Programmatik durchgehen und stellen immer fest: Die linken Positionen
stehen dem Populismus diametral entgegen. Der rechten Ignoranz setzt die Linke
Bildung und Wissen entgegen; dem Vorurteil das fortschreitende Verstehen von
Zusammenhängen und Entwicklungen; der Ausgrenzung von Minderheiten die
Integration in die Gemeinschaft; dem Dünkel der „höherstehenden“
Kultur-Nation-Rasse die Gleichwertigkeit Aller; dem Wohlstandschauvinismus den
gerechten Ausgleich; dem dumpfen Hass die Empathie und Solidarität; der amorphen
Wut der Masse den persönlichen Mut in organisierter Verantwortung.
Darüber hinaus zeigt diese Gegenüberstellung: Während der
Populismus sich aus Versatzstücken auch ohne ihn existierender Ideologien
bedient, steht die linke Programmatik auf eigenem Fundament der geschlossenen,
konsistenten Weltanschauung eines zeitgemäßen Humanismus, in dessen Zentrum
nicht das Kapital, sondern der Mensch steht. Deren Kernziel ist die Überwindung
der Klassengesellschaft.
Zwar behaupten auch Populisten, die Spaltung der
Gesellschaft in Oben und Unten aufzuheben, indem sie die „Elite“ zu entmachten
und dem „Volk“ die Selbstbestimmung zurück zu geben versprechen, aber sie
stellen dafür die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht in Frage, und
ohne diese abzuschaffen muss das populistische Gleichheitsversprechen ein
großer Schwindel bleiben.
Somit stellt sich der Populismus als ein Krisensymptom des
Kapitalismus dar und zugleich als Zerfallsprodukt der Klassengesellschaft
überhaupt. Seit den frühesten Spaltungen der Menschheit in herrschende und
beherrschte, ausbeutende und ausgebeutete Klassen hat das Streben der Unteren,
diese Spaltung durch Kämpfe um Freiheit und Gleichheit zu überwinden, nie
aufgehört. Um solchen Kämpfen die Spitze abzubrechen oder zuvor zu kommen, benutzen
die Herrschenden auch die Methode, dem Volk nach dem Mund zu reden, es mit
falschen Versprechungen zu verwirren und zu betrügen.
Ein paar Beispiele. Im späten Römerreich gab es massenhafte
Sklavenaufstände – und die Führer der „Volkspartei“ (Populares), die den verarmten
Plebejern weis machten, ihre Feinde seien nicht die
Großgrundbesitzer-Sklavenhalter, sondern Kimbern und Teutonen vor den Toren. Ab
dem 12. Jahrhundert drohte Unzufriedenheit des niederen Landadels die
Grundlagen der Feudalherrschaft zu zersetzen – doch die weltlichen und
geistlichen Fürsten finanzierten Orden, die die Ritterschaft zu Kreuzzügen
gegen die „Heiden“ im Morgenland aufriefen. Im 16. Jahrhundert bedrohten die
Bauernkriege Adel und Geistlichkeit – doch es gab den Martin Luther, einen
Populisten reinsten Wassers, der die Gläubigen zwar aus den Fesseln der Papstkirche
befreite, um sie und die Bauern als brave preußisch-deutsche Untertanen an die
Landesfürsten auszuliefern. Im 19. Jahrhundert konnte die kapitalistische
Wirtschaft die proletarisierten Massen nicht mehr ernähren – da predigten in
England ein Malthus und ein Cecil Rhodes den Bürgern, die Proleten vermehrten
sich zu schnell, dagegen helfen außer Zucht und Arbeit nur koloniale Raubzüge
gegen die „Wilden“. Schließlich nach dem 1. Weltkrieg, als durch Krieg und
Krise verelendete Massen für die Überwindung des Kapitalismus durch das
Sowjetsystem kämpften – da wurde eine schon tausend Jahre alte Ideologie mit
großem Geld aufgerüstet, die die Schuld an der Krise auf die Juden und die
Bolschewiken-Russen-Slawen abschob und vorgab, nach deren Vernichtung gäbe es
nur noch „ein Volk, ein Reich, einen Führer.“
Die Beispiele belegen: Populismus war immer ein Reflex der
Herrschenden auf den Freiheitsdrang der Beherrschten. So auch heute. Daher ist
es wissenschaftlich absurd und politisch infam, den Schein für das Wesen der
Sache auszugeben und dem Populismus, der immer rechts, konservativ, auf Seite
der bestehenden Verhältnisse steht, auch noch einen „linken“ Halbbruder
anzudichten. Wenn hin und wieder sogar Freunde der Linken dazu raten, sie möge,
um den Populisten das Wasser abzugraben, mit einem „linken Populismus“
antworten: diese Rechnung kann nicht aufgehen. Denn sie bleibt an der
Oberfläche, während es darum geht, den Wesenskern der heutigen Klassenspaltung
offen zu legen, das kapitalistische Produktionsverhältnis.
Den Linken bleibt daher tatsächlich nichts anderes, als dem
Populismus unsere humanen Werte (siehe oben) und das Wissen um den Gang der
Geschichte entgegen zu stellen. In der Gewissheit, dass die Menschheit seit
Kains Brudermord viel gelernt hat und mit Lernen nicht aufhören wird, bleibt beste
Waffe gegen die Fremdenfeindlichkeit von AfD und Pegida: „Welcome refugees!“
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